Inge-Reitz-Straße, Mainzer Zollhafen, Einweihungsfeier am 5. April 2019

 

Oberbürgermeister Michael Ebling:

 

"Sehr geehrte Frau Kulturdezernentin Grosse,
sehr geehrter Herr Ortsvorsteher Klomann,

sehr geehrte Nina Reitz, sehr geehrte Annette Reitz,
meine sehr geehrten Damen und Herren,


ich begrüße Sie herzlich zur Einweihung der neuen Inge-Reitz-Straße.

Gleich aus zwei Gründen freue ich mich über diesen Termin ganz besonders: Zum einen natürlich, weil wir damit eine Mainzerin ehren, die sich um ihre Heimatstadt in hohem Maße verdient gemacht hat.

Zum anderen aber, weil diese Straßenbenennung ein weiteres Zeichen dafür ist, wie rasant schnell das neue Stadtquartier hier am Zollhafen wächst: Nicht nur immer mehr Häuser bestimmen mittler­weile das Bild, sondern auch zunehmend Straßen, über die längst nicht mehr nur Bagger und Bauwagen rollen.

Wer aber war die im Jahr 2011 verstorbene Inge Reitz, die wir heute mit dieser neuen Straße würdigen?

Die älteren Mainzerinnen und Mainzer werden sich noch gut an die Mainzer Mundart-Dichterin erinnern, vor allem an ihre beliebte Kolumne „Määnzer Geschwätz“ in der Allgemeinen Zeitung, die ab 1985 wöchentlich erschien und erst mit Folge 658 endete. Die Kolumnen waren so erfolgreich, dass sie später sogar gesammelt in Buchform veröffentlich wurden.

Inge Reitz war außerdem bekannt für ihre Theaterstücke und Erzählungen, die sie teils in Mundart, teils aber auch auf Hoch­deutsch schrieb und für die sie ein breites Publikum auch über die Stadtgrenzen hinaus gewinnen konnte.

Vor allem aber war sie eine echte Mainzer Schriftstellerin: durch die Wahl ihrer Themen, aber eben auch durch die Wahl des Mainzer Dialekts als zwar nicht alleiniges, aber doch von ihr bevorzugtes literarisches Stilmittel.

Sie war Gründungsmitglied der „Mainzer Autorengruppe“ und schrieb – neben ihrer zeitweisen Tätigkeit beim Musikverlag Schott – mehr als ein Dutzend Bücher.

Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Preise, unter anderem den 1. Preis für Gedichte beim Mundart-Wettbewerb der Stadt Mainz 1980 und den 2. Preis beim Pfälzer Mundarttheater im Jahr 1997.

Geboren wurde Inge Reitz am 20. Juni 1927 in der Mainzer Neustadt, also in unmittelbarer Nähe zu der Straße, die wir ihrem Andenken heute widmen. In Mainz wuchs sie auf, hier ging sie zur Schule und hier erlebte und überlebte sie schließlich den furcht­baren Luftangriff vom 27. Februar 1945, der Mainz nahezu dem Erdboden gleichmachte.

Und so wundert es nicht, dass ihre Geschichten – oder besser: „Geschichtjer“– nicht nur von den heiteren Alltäglichkeiten der Mainzerinnen und Mainzer erzählen, sondern immer wieder auch von den düsteren und bitteren Momenten unserer Stadtgeschichte: von Krieg, Flucht und Neuanfang in Schutt und Asche.

Vor allem aber erzählen sie unnachahmlich und höchst amüsant von den Mainzerinnen und Mainzern selbst!

Anton Maria Keim, unser langjähriger Mainzer Kulturdezernent, hat ganz in diesem Sinne einmal über Inge Reitz geschrieben:

"Da redet kein Autor – wie gern in der Mundart-Bütt – dem Publikum nach dem Mund. Hier wird auch die Mainzer-Welt ‚frag-würdig‘! Wer dafür eine Antenne hat, wird auf die Form mit Vergnügen, auf die Gedanken mit Betroffenheit, auf den Weg der Autorin Inge Reitz mit Respekt reagieren."

Aus dem Weg der Inge Reitz wird jetzt sogar eine ganze Straße und zwar eine für den gesamten nördlichen Bereich des Zollhafens besonders wichtige!

Ich freue mich sehr, dass wir inmitten dieses neuen Stadtquartiers an eine Frau erinnern, die sich mit Leib und Seele ihrer Mainzer Heimatstadt verschrieben hat.

Ich freue mich auch, weil die Benennung nach Inge Reitz geradezu überfällig war, schließlich spiegeln sich in ihrem Werk – ihren unzähligen Kolumnen, Geschichten, Gedichten, Hörfunkbeiträgen, Theaterstücken und Erzählungen – die Mainzerinnen und Mainzer einfach wider: dieser Menschenschlag mit seinem besonderen Humor, mit seiner Bodenständigkeit, aber auch mit seinem kritischen, aufmüpfigen Geist.

Inge Reitz war eine ebensolche Mainzerin. Und sie war eine nach­denkliche, kluge und unermüdlich tätige Frau, die sich darauf verstand, ihre Texte so zu kürzen, so „einzudampfen“, bis jedes einzelne Wort ein Treffer war.

Es ist dieser hintergründige Humor, der Inge Reitz‘ Werk durchzieht wie der sprichwörtliche rote Faden – ihre Kolumnen und Mundart-Stücke sowieso, aber eben auch ihre ernsten, oft autobiographisch gefärbten Texte.

Inge Reitz fand mit ihrem Schreiben immer den richtigen Ton für uns Mainzerinnen und Mainzer.

Mit der Straßenbenennung halten wir die Erinnerung an diese wunderbare Autorin und an ihr herzliches „Gebabbel“ jetzt auch für die künftigen Generationen wach. Denn unsere Stadt braucht Menschen wie Inge Reitz, sie braucht Menschen, die dem Volk auf den Mund schauen, aber ihm nicht nach dem Munde reden. Und auf beides verstand sich Inge Reitz meisterlich!

Mein Dank gilt dem Ortsbeirat der Neustadt, der diesen Namens­vorschlag eingebracht hat: Meine sehr geehrten Damen und Herren, es hätte besser nicht passen können!

Und mein Dank gilt den beiden Töchtern von Inge Reitz, Nina und Annette Reitz, dass sie heute mit uns gemeinsam die Straßen­benennung vornehmen.

 Meine sehr geehrten Damen und Herren, Mainz wächst weiter, neue Wohn- und Geschäftsviertel entstehen, und mehr und mehr öffnet sich die Stadt zum Fluss. Für all das steht ab heute auch die neue Inge-Reitz-Straße und ich bin mir sicher: Inge Reitz hätte dafür selbst die besten Worte gefunden!"

 

Kulturdezernentin Marianne Grosse:

 

"Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
verehrter Herr Ortsvorsteher Klomann,
verehrte Frau Nina Reitz und Frau Annette Reitz,
meine sehr geehrten Damen und Herren.

Den Worten von Herrn Oberbürgermeister Ebling zum Leben und Werk von Inge Reitz schließe ich mich sehr gerne an.

Inge Reitz war in der Tat in ihrem Schaffen immer eine sprachmächtige Literatin, bei der es auf jedes einzelne Wort ankam. Die Mainzer Mundart stand dieser Präzision dabei nicht im Weg.

Ganz im Gegenteil: Was von ihr mundartlich scheinbar so schlicht formuliert war, war stets mit größter Genauigkeit abgewogen.

Ein schönes Beispiel für ihre Formulierungskunst finden wir in einem der sogenannten „Plakatgedichte“, das Sie hier neben mir eingerahmt stehen sehen.

Die Plakatgedichte waren zur Förderung von Mainzer Autorinnen und Autoren gedacht und Inge Reitz hatte das Glück, mit ihrem Gedicht „Vielleicht“ die Reihe im Jahr 1984, vor genau 35 Jahren, zu eröffnen. Ihr Gedicht war die erfolgreichste Ausgabe dieser Reihe. So erfolgreich, dass es damals aufgrund der hohen Nachfrage ganze drei Mal nachgedruckt werden musste.

Dieses Gedicht spiegelt auf – wie ich finde – ganz eigene Weise die Lebensgeschichte der Familie Reitz und gleichzeitig auch unserer Landeshauptstadt Mainz. Es tritt uns in der graphischen Form eines Ausrufezeichens entgegen, und zeigt lakonisch und deutlich zugleich, wie drei Generationen von Mainzer Müttern und Kindern vom Krieg geprägt wurden.

Es war Krieg. Dreimal hält uns das Plakat diese Worte in roter Farbe drastisch vor Augen. Nur die Töchter von Inge Reitz, die hatten das Glück, nicht in Kriegszeiten aufzuwachsen. Endlich. Es „war kän Krieg“.

Aber wie zart wird das im Gedicht gedruckt. So klein, so zerbrechlich ist dieser Frieden, dieses „war kän Krieg“, dass es wie in einem Schutzraum zweimal von dem hoffnungsvollen Satz „Vielleicht hält’s noch e bisje!“ umrahmt werden muss, auf dass der fürchterliche Krieg nicht erneut in den Frieden eindringe.

Die Erfahrung des Krieges hat das Werk von Inge Reitz deutlich geprägt, und doch schaffte sie es immer wieder, mit dem Mainzer Sprachkolorit dem oft ernsten Inhalt ein gewisses Maß an Heiterkeit beizufügen, der ihr Werk so unnachahmlich geprägt hat. Dass sie damit über Jahrzehnte das Leben der Mainzer Bürgerinnen und Bürger froher und hoffnungsvoller gemacht hat, dafür soll sie heute völlig zu Recht in die Reihe jener Mainzer Frauen gestellt werden, die mit einem Straßennamen geehrt werden.

Noch zu wenig wurden die Mainzer Frauen in der Vergangenheit für Ihre Verdienste geehrt. Wenn die Verwaltung der Landeshauptstadt Mainz sich daher auch bei der Benennung von neuen Straßen und Plätzen verstärkt dem erfolgreichen Wirken von Frauen widmet, dann zollt sie damit einer großen und zu oft vergessenen Vergangenheit von Mainzerinnen den lange vorenthaltenen Respekt und gibt damit gleichzeitig ein ermutigendes Beispiel für die Zukunft.

Mit der Straßeneinweihung in diesem besonderen neuen Wohnquartier in Mainz reiht sich der Name Inge Reitz in eine bedeutende Reihe von Personen, die mit dieser Würdigung auch vor dem Vergessen bewahrt werden sollen. Wir finden berühmte Mainzerinnen wirklich in allen Bereichen, in denen Menschen politisch, künstlerisch, sozial oder wirtschaftlich tätig sein können.

Wenn ihr Name uns in Erinnerung bleibt und uns gerade in den heutigen Zeiten daran erinnert, dass es auf jedes Wort ankommt, dass weniger oft mehr ist, und dass auch die leisen Untertöne oft viel mehr bewirken können als lautes Schreien, dann hat diese Benennung ihren schönsten Zweck erfüllt.

Meine Damen und Herren, der Zufall wollte es, dass wir von diesem erstenMainzer Plakatgedicht im Archiv des Kulturamtes eine kleine Anzahl gefunden und die letztenExemplare heute mitgebracht haben. Zu Ehren von Inge Reitz möchten wir Ihnen gerne – solange der Vorrat reicht – ein Exemplar zur Erinnerung an die Straßenbenennung schenken. Vielen Dank!"